Parade der Kulturen Frankfurt 2018
24. Juli 2018Es geht um Leben und Tod
8. Juni 2019“Was möchtest du machen, wenn du deinen Körper aufgegeben hast?”, wurde Remuṇā einmal von Ihrem langjährigen Lebensbegleiter Akrūratīrtha gefragt. Ihre Antwort lautete: “Ich würde gerne zu Lord Jagannātha gehen und dann jeden Tag für Ihn Laddus zubereiten.”
In dieser Antwort steckt der Großteil von Remuṇās spirituellem Leben. Sie war eine glühende Verehrerin Lord Jagannāthas, eine Form Krishnas, die im ganzen Universum für Ihre großen Augen und Ihr breites Lächeln bekannt ist. Eine Erweiterung dieser ursprünglich im indischen Puri stehenden Altargestalt residiert seit 1998 im Berliner ISKCON-Tempel. Der König von Puri half persönlich dabei, diese großen und schweren Altargestalten Lord Jagannātha, Lord Balarāma und Lady Subhadrā von Indien in die Bundeshauptstadt zu transportieren. Und auch bei Remuṇā zuhause auf ihrem Wohnzimmer-Altar befanden sich wiederum kleine Replikate dieses göttlichen Geschwister-Trios, die von ihr liebevoll verehrt wurden.
Diese kleinen Replikate waren auch der erste bewusste Anstoß für Remuṇās spirituelles Leben. Im Jahre 1987 fand in Berlin das erste deutsche Rātha-Yatra statt. Die Gottgeweihten trugen die kleinen Jagannātha-Altargestalten in einer Sänfte singend und tanzend über den Kurfürstendamm. “Zufällig” war Remuṇā (damals noch Renate) vor Ort und verliebte sich sofort in Lord Jagannāthas Lächeln. Sofort nahm sie Verbindung mit den Gottgeweihten auf und begann den Vorgang des Krishna-Bewusstseins zu praktizieren. In den darauffolgenden Turbulenzen der DDR-Wende und eines Tempelumzugs vom naheliegenden Checkpoint Charlie in die Muskauer Straße (1990/1991) schienen diese kleinen Altargestalten wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Niemand wusste, was mit Ihnen geschehen war. Dann, ein paar Jahre später, entdeckte Remuṇā beim Aufräumen im Keller des damaligen ISKCON-Zentrums einen verstaubten, geheimnisvollen Karton und fand darin die kleinen Jagannāthas. Sofort war die alte Liebe neu entflammt! Ohne sich mit irgendjemanden abzusprechen, schmuggelte sie die Altargestalten aus dem Zentrum in ihre Wohnung und begann sie dort auf einem selbstgebauten Altar zu verehren. Das sorgte anfangs für Ärger zwischen Remuṇā und dem damaligen Tempelpräsidenten. Man könnte sagen ein transzendentaler Streit, bei dem Krishna im Mittelpunkt stand. Doch zu guter Letzt überließ man ihr gerne die kleinen Jagannāthas, die seit jeher in Remuṇās Wohnzimmer einfach, aber liebevoll verehrt werden.
Apropos Wohnzimmer: Remuṇā war für beinahe drei Jahrzehnte in ganz Berlin dafür bekannt, Menschen aus allen sozialen Richtungen in ihre private Wohnung einzuladen, um dort mit ihnen gemeinsam Krishna zu verehren. Das Programm war einfach und zugleich wirkungsvoll. Es wurde gemeinsam der Hare-KrishnaMahamantra gesungen, etwas über Krishna und Seiner Philosophie gesprochen und im Anschluss selbstgekochte, vegetarische Speise gereicht. Diese köstlichen Gerichte wurden zuvor selbstverständlich mit viel Liebe für Krishna zubereitet und dann auf dem Altar dargebracht. Erst danach wurden sie als prasādam, als “geweihte Speise” ausserviert.
Immer wieder wird berichtet, dass sie ihre Gäste behandelte wie eine Mutter heimgekehrte Kinder. “Remuṇā war eine völlig authentische Person. Nichts war Show, sondern alles war echt, das Lachen und auch das Weinen”, hört man heute Besucher häufig berichten. “Und man durfte ebenfalls so sein wie man ist, mit all seinen Stärken und Schwächen. Auch konnte man sich neben den Themen des Krishna-Bewusstseins über ganz normale menschliche Angelegenheiten unterhalten.” Auf diese Weise sind zahllose Berliner mit dem Krishna-Bewusstsein auf ganz natürliche Weise in Berührung gekommen und viele sind später eingeweihte Gottgeweihte geworden.
Aber auch im offiziellen Berliner ISKCON-Zentrum war Remuṇā häufig anzutreffen. Besonders wenn es um das große Samstagsfestessen ging, stand sie oftmals mit ihrem Lebensbegleiter Akrūra-tīrtha und anderen Helfern stundenlang in der Küche. Obwohl sie in den letzten Jahren oft von vielen körperlichen Leiden heimgesucht wurde, ließ sie sich nicht davon abhalten, Lord Jagannātha zu bekochen, ganz im Geiste einer treuen demütigen Dienerin.
Man kann Remuṇā zu Recht als eine echte spirituelle Aktivistin bezeichnen. Sie hatte die Mission Sri Chaitanya Mahāprabhus völlig verinnerlicht, nämlich so viele Menschen wie möglich mit den Herrlichkeiten Krishnas in Berührung zu bringen. Am liebsten tat sie dies, indem sie liebevoll zubereitete Speise, die zuvor Krishna geopfert wurde, an ihre Mitmenschen verteilte. Eigens dafür engagierte sie sich für viele Jahre beim Hare-Krishna-Food-For-Life-Programm. Bei dieser weltweiten Initiative wird prasadam besonders an Obdachlose und Hilfsbedürftige verteilt. Und hin und wieder gab es auch eine Überraschung vom Postboten: “Ein Paket von Remuṇā! Mit Laddus, gebrannten Mandeln und selbstgemachter Marmelade!”
Remuṇā erhielt 1993 die erste Einweihung von Krishna Kshetra Swami und 22 Jahre später die zweite Einweihung, die sogenannte brāhmaṇa-Einweihung, mit der man Krishna direkt auf einem Altar eines offiziellen ISKCON-Tempels verehren darf. Seit einigen Jahren hat die ISKCON Deutschland Österreich damit begonnen, hiesige Gottgeweihte mit besonderen Verdiensten auszuzeichnen. Zu Remuṇās Überraschung erhielt sie 2017 den ISKCON Europe Excellence Award für ihr langjähriges Engagement.
Remuṇā wurde als Renate Becker am 4. Januar 1955 in Berlin-Kreuzberg geboren. Sie hatte keine leichte Kindheit, denn sie und ihre Geschwister wurden von ihrem Stiefvater nicht gut behandelt. Als junges Mädchen lief sie von Zuhause weg. Irgendwie fand sie ihren Weg zurück in ein normales Leben, gründete eine Familie und zog drei Kinder groß. Glücklicherweise konnte Remuṇā ihre schwierige Jugend später mit Hilfe von Freunden und Therapeuten erfolgreich aufarbeiten. Remuṇā hatte ein einfaches, liebevolles Wesen. Sie war keine Schriftgelehrte, sondern überzeugte die Menschen mit ihrer mütterlichen Liebe. Im Verlaufe des Alters verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand jedoch gravierend. Neben einigen anderen schweren Krankheiten wurde sie vor einigen Wochen mit Magen-Darm-Krebs diagnostiziert. Die Lungen waren dabei bereits zu 75% zerstört und die Ärzte konnten nichts mehr für sie tun. In den letzten Tagen wurde sie von vielen Gottgeweihten, Familienangehörigen und Freunden im Tempelhofer St. JosephKrankenhaus besucht und der heilige Name Krishnas wurde viel gesungen. Am 14. Dezember 2018 um 20:28 Uhr verließ Remuṇā ihren Körper.
Kadamba Kanana Swami, ein einweihender spiritueller Meister des ISKCON, schreibt:
“Ich bete dafür, dass Remuṇās hingebungsvoller Dienst Früchte tragen und sie zurück in die spirituelle Welt bringen möge.”
Und ihr spiritueller Meister Krishna Kshetra Swami schreibt [sic]:
“May the good Lord Krishna bless her in all respects. Einerseits war es alles so schnell und deswegen ziemlich schockierend. Andererseits, ich sehe, dass Krishna hat die Dinge so arrangiert, sodass Remuṇā nicht lange leiden musste. Wir waren alle gesegnet von ihrer Gemeinschaft – immer bereit Dienste für Lord Jagannatha und die Devotees zu leisten!”
Remuna dasi wird für immer in unserer Erinnerung bleiben.
Eure Diener vom NCEC (ISKCON Deutschland/Österreich National Council Executive Comitee)
MDinaSharanaDD
Doyal GovindaD
JayagouraD VaidyanathD
Christoph Nitz
Gour MohanD
KeshavaD
Paramatma KrishnaD
Jay NitaiD
Acyuta NimaiD
Hemanga GopalD
ParamshreyaD
und ShivatmaD
___________________
Fußnoten:
1 Jagannātha (“Der Herr des Universums”) ist ein anderer Name für Krishna.
2 Laddus werden in Indien rund geformte Süßigkeiten genannt.
3 Ratha-Yatra ist das Wagenfest, bei dem Krishna in einer prächtigen Kutsche um einen Tempel oder durch eine Stadt gezogen wird.
* * * * *
Live-Übertragung der Trauerfeier in Berlin mit viel Musik und Anekdoten, ISKCON Zentrum, vom 22.12.18:
* * * * *
Und in diesem Zusammenhang hier noch drei historische (und zutiefst nostaligische) Videos gefilmt von Amaraprabhu Dasan in den Jahren 1993 bis 2004: